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Ich glaube – ich werde blind.

Erst reicht das Licht der Lampe nicht mehr, um die Zeitung zu lesen. Die Scheinwerfer entgegenkommender Autos blenden. Dann stellt der Augenarzt eine Netzhauterkrankung fest. Spätestens jetzt taucht die Frage auf: Wie wird es weitergehen? Wie ist ein selbstbestimmtes Leben mit Sehbeeinträchtigung möglich? Die gute Nachricht ist: Sie sind nicht allein. Weit über sieben Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Netzhauterkrankung.

Die am weitesten verbreitete Netzhauterkrankung ist die altersbedingte Makula-Degeneration (AMD). Vermutlich sind allein in Deutschland mehr als sieben Millionen Menschen von einer frühen Form der AMD betroffen. Hinzu kommen rund 60.000 Menschen mit einer seltenen Netzhauterkrankung.

Risiken reduzieren
Während bei einer AMD manche Ursachen – wie das Alter – nicht beeinflussbar sind, kann jeder Einzelne andere Risikofaktoren meiden. Dazu gehört zum Beispiel Nikotin. Einen positiven Effekt auf die Augengesundheit hat eine gesunde, abwechslungsreiche Ernährung mit viel Obst und Gemüse: “Viele Gemüsesorten enthalten Stoffe, die als Sonnenbrille im Auge dienen, weil sie die schädliche UV-Strahlung abfangen. Das ist wichtig, denn starkes Sonnenlicht begünstigt die Entwicklung einer AMD“, erklärt Dr. Sandra Jansen, Fachreferentin bei der Selbsthilfeorganisation PRO RETINA Deutschland e.V.

Hilfsmittel erleichtern den Alltag
Selbst wenn die Sehkraft immer weiter nachlässt, gibt es viele Hilfsmittel, die weiterhin ein eigenständiges Leben ermöglichen, weiß Heike Ferber, Leiterin der AMD-Stabsstelle von PRO RETINA: „In der Küche hilft eine sprechende Küchenwaage, ein Flüssigkeitssensor gibt den Füllstand von Gläsern oder Tassen an. Kleine Markierungspunkte zum Beispiel an Herd oder Waschmaschine zeigen die am häufigsten genutzten Einstellungen. Um Geldmünzen zu unterscheiden gibt es Geldboxen“, zählt sie einige der Hilfsmittel auf, die den Alltag ungemein erleichtern.

Kompetenz-Checkheft zum Erhalt von Alltagskompetenzen
Unterstützung nach der Diagnose einer Netzhauterkrankung bietet auch das Kompetenz-Checkheft, das die Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Münster und PRO RETINA erstellt haben. Es hilft Betroffenen beim Erhalt und der Wiedererlangung ihrer Alltagskompetenzen. Zu diesem Zweck werden einfache Bewältigungsstrategien für etwa 90 Kompetenzen aus verschiedenen Lebensbereichen wie Mobilität, Ernährung und Freizeit beschrieben. Sie sollen Startpunkt für die eigene aktive Beschäftigung mit dem Thema sein.

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Austausch mit Betroffenen auf Augenhöhe
Ebenso wichtig ist jedoch ist der Austausch mit anderen Betroffenen. Um diesen zu ermöglichen veranstaltet PRO RETINA regelmäßig Patientenseminare. Außerdem laden die bundesweit vertretenen Regionalgruppen von PRO RETINA zu regionalen Treffen und Stammtischen ein, bei denen man sich gegenseitig Tipps gibt oder auch schon mal Mut zuspricht. Außerdem berät PRO RETINA zu sozialen Fragestellungen, informiert über Therapien und neue Forschungsergebnisse. Um Forschung und Therapie weiter zu fördern, appelliert PRO RETINA an Betroffene, sich kostenlos in das PRO RETINA Patientenregister einzutragen. „Durch den Eintrag in das Patientenregister haben Betroffenen die Chance, an klinischen Studien teilzunehmen und damit neue Therapiemöglichkeiten zu nutzen. Das ist vor allem für diejenigen wichtig, die eine genetisch bedingte Erkrankung haben“, erklärt Dr. Sandra Jansen, die das Patientenregister leitet.

14 Jahre bis zur Diagnose
Während AMD eine Volkskrankheit wie Diabetes ist, gehören die erblich bedingten Netzhautdystrophien zu den seltenen Erkrankungen. Sie zu erkennen ist schwierig – aufgrund ihrer Seltenheit, aber auch wegen ihrer oft sehr unterschiedlichen Symptome. Daher vergehen etwa 14 Jahre von den ersten Symptomen bis zur gesicherten Diagnose. Jahre zermürbender Unsicherheit, wie die Berater von PRO RETINA wissen.

Neue Studie zeigt Lücken bei Diagnostik
Gerade hat die Selbsthilfeorganisation zusammen mit Wissenschaftlern eine Studie zur Diagnostik von erblich bedingten Netzhauterkrankungen vorgenommen. Die erschreckende Erkenntnis: Die bestehenden Diagnosemöglichkeiten in Form einer molekulargenetischen Untersuchung werden gar nicht ausgeschöpft. Bei lediglich 66 % der Befragten war ein Gentest durchgeführt worden, weniger als die Hälfte der Befragten (47 %) erhielt eine humangenetische Beratung. „Eine gesicherte Diagnose ist der Schlüssel zur Lebensplanung und zu einer möglichen Therapie“, bringt es Jansen auf den Punkt. Sie kennt durch das PRO RETINA-Patientenregister die Lebensläufe vieler Betroffener: „Wir beraten viel zu oft Menschen, die einen jahrelangen Leidensweg hinter sich haben. Das darf nicht sein.“ Dabei gehört die molekulargenetische Diagnostik wegen ihrer Bedeutung auch zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen. „Das Interesse der Patienten ist hoch. Nach Aufklärung über diese Möglichkeiten wünschen praktisch alle Patienten eine molekulargenetische Diagnostik, bei 80 % der Betroffenen ist dadurch eine eindeutige Diagnosesicherung möglich“, fasst Prof. Dr. Ulrich Kellner, einer der an der Studie beteiligten Wissenschaftler, die Erfahrung aus seiner Schwerpunkt-Sprechstunde zusammen. Das Ergebnis der Studie zeigt einmal mehr, wie wichtig es für Betroffene ist, die richtigen Ansprechpartner zu kennen und eine kompetente Beratung zu erhalten. Das kann den Leidensweg um viele Jahre verkürzen und zur Lebensqualität beitragen.

Bei der Selbsthilfeorganisation PRO RETINA e.V. können Broschüren und weiteres Informationsmaterial kostenlos bestellt werden. Zu AMD gibt es beispielsweise die Broschüren „Was ist AMD“ oder „AMD und Ernährung“ oder das „Kompetenz-Checkheft“ sowie Broschüre zu seltenen Netzhauterkrankungen. Mehr Informationen erhalten Sie beim Netzhauttelefon 0800 / 227 217-1.

Infobox

„Ich glaube – ich werde blind“ – Online-Veranstaltung von PRO RETINA im Rahmen der Aktion „Sehbehindertensonntag“

Ein Mediziner, Theologen, Seelsorger und Betroffene aus der Selbsthilfe geben Antworten auf Fragen, weisen Wege und eröffnen Lebensperspektiven. 

Datum: 22. Juni 2022 
Uhrzeit: 17.30 bis 19.30 Uhr
Anmeldung: kirche@pro-retina.de

Der „Sehbehindertensonntag 2022“ ist eine bundesweite Kooperation der folgenden Partner:

  • Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV)
  • Deutsche Bischofskonferenz und Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland
  • Dachverband der ev. Blinden- und Sehbehindertenseelsorge (DeBeSS)
  • Deutsches Katholisches Blindenwerk e.V. (DKBW)

 

Das Projekt wird gefördert durch die Aktion Mensch.