© Boris Burcza
© Boris Burcza

Mit Familie und Rad auf dem Jakobsweg

Der klassische Familienurlaub ist es nicht, für den sich Familie Burcza entschieden hat: Sie wollen innerhalb von vier Wochen 870 Kilometer auf dem Jakobsweg zurücklegen, mit Fahrrädern, einem Anhänger und ihren beiden Kindern Emilia (3) und Natan (11 Monate).

Mit den Vorbereitungen für die Reise begannen die Eheleute schon Monate vorher und dementsprechend nervös waren sie am Abreisetag. Die Taschen wurden lieber dreimal kontrolliert, nicht, dass ein fehlender Ausweis oder nicht vorhandenes Bahnticket dem Abenteuer ein Ende bereiten würde, bevor es begonnen hat. So wachte Boris Burcza am Abreisetag auch mit dem Gedanken auf: »Jetzt nur nichts vermasseln! «. Von Karlsruhe aus machte sich die Familie mit dem TGV nach Paris auf und weiter nach San Sebastián im Baskenland. Dort sollte die Reise beginnen. Im Gepäck zwei Falträder mit 24 Gängen und ein Fahrradanhänger für die Kinder.

Unabhängigkeit auf dem Fahrrad

Ohne Kinder hatten Boris (37) und Ania Burcza (34) schon viele mehrwöchige Fahrradtouren unternommen, eine führte sie zum Beispiel über Transsilvanien bis in die Türkei. Mit dem Fahrrad unterwegs zu sein, bedeutet für sie Unabhängigkeit, Freiheit und die Möglichkeit, Land und Leute auf besondere Art kennenzulernen. Doch bei der geplanten Fahrradtour auf dem Jakobsweg war alles ein wenig anders, schließlich waren sie nicht mehr nur zu zweit – Emilia und Natan waren mit von der Partie. Den Eheleuten war bewusst, dass dies eine besondere Herausforderung sein kann, dennoch hatten sie Lust, mit ihren Kindern so zu reisen, wie sie es lieben. Fahrradfahren gehörte auch schon vor der Reise zum festen Familienalltag. Die Burczas besitzen kein Auto und erledigen alles mit dem Fahrrad. Als Reisetermin wählte die Familie die Zeit, in der Boris Burcza, der als Anästhesist in einer Karlsruher Klinik arbeitet, Elternzeit hatte. Die Entscheidung, eine Fahrradtour auf dem Jakobsweg zu machen, fiel aus einem Gefühl heraus und einer unbestimmten Neugier, was sie auf diesem Weg erleben würden. »Wir haben Bücher über den Jakobsweg gelesen, unter anderem auch das von Hape Kerkeling. Der Weg hat einfach etwas Faszinierendes und Mystisches.« Ania Burcza, die aus Polen stammt, reizte der Camino auch aus einer religiösen Motivation heraus.

Auf dem Camino del Norte entlang der Nordküste Spaniens

Aufgrund des großen Pilgeraufkommens auf dem Hauptweg hatten sie sich entschieden den »Camino del Norte« zu wählen. Die Nordroute des Jakobswegs verläuft am Atlantik entlang durch das Baskenland, Asturien und Galicien und trifft  erst kurz vor dem Ziel auf den Camino Francés, den klassischen Jakobsweg, der quer durch Nordspanien von den Pyrenäen nach Santiago de Compostela führt. Die Nordroute ist nicht so hoch frequentiert, es gibt aber auch weniger Kartenmaterial. Um sich trotzdem ein Bild von den Wegen zu machen, erkundete Boris Burcza im Vorfeld die Strecke mithilfe von Google Earth und suchte im Internet nach anderen Radpilgern, die ihre Erfahrungen im Netz teilen. Doch auch die intensive Vorbereitung schützte nicht vor unliebsamen Überraschungen. »Was im Internet nach einem anständigen Weg aussah, war in der Realität oft nur ein Schotterweg. Das konnte ich leider nicht verhindern.«

Sie brauchen ein wenig Zeit, um ihre Pilgerreise genießen zu können

Ausgangspunkt für ihr großes Abenteuer war San Sebastián von den Einheimischen Basken auch Donosti genannt. Boris Burcza hielt in seinem Reisebuch fest: »San Sebastián ist der ideale Ausgangspunkt für den Jakobsweg. Das mondäneSeebad bietet noch einmal alle Annehmlichkeiten touristischer Infrastruktur, bevor der Camino in spartanische Gefilde führt.« Die ersten Tage als Fahrradpilger waren für die Familie anstrengend. Alles war ungewohnt, jeder musste sich erst einmal auf die Pilgerfahrt einlassen. »Wir waren ziemlich angespannt. Die Kinder wollten nicht im Anhänger sitzen, die Steigungen waren anstrengend. Da haben wirschon mal überlegt, ob das so eine gute Idee gewesen ist, und ob es nicht besser wäre, sich wieder in den Zug zu setzen und nach Hause zu fahren«, erzählt Boris Burcza rückblickend mit einem Lächeln.

Gleich nach der ersten Etappe von San Sebastián nach Zarautz lagen die Nerven blank, als dem Ehepaar auf der Suche nach einer Herberge von einem Hospitalero kein Einlass gewährt wurde. Er schaute auf den Fahrradanhänger und wies sie mit den Worten »No, Prohibido!« ab. Die Burczas interpretierten den Herbergsvater so, dass Kinder hier nicht willkommen sind. Boris Burcza schnappte sich seinen kleinen Sohn und fragte vorwurfsvoll, wieso dieser kleine Junge hier nicht rein dürfe. Als der Hospitalero den Kleinen entdeckte, hellten sich die Gesichtszüge auf und die Familie wurde auf der Stelle eingelassen. Es stellte sich später heraus, dass der Herbergsvater die beiden Kinder im Anhänger gar nicht gesehen hatte und davon ausgegangen war, dass die Erwachsenen ihr Zelt im Fahrradanhänger transportieren und auf dem Gelände campen wollten. Nach ein paar Tagen entwickelte die Familie eine gewisse Routine: Zwischen acht und neun Uhr fuhren sie los, bis 15 Uhr waren sie auf der Strecke. Übernachtungsplatz suchen, ankommen, auspacken, Wäsche waschen, einer kümmert sich um die Kinder, der andere hat die Möglichkeit, sich mit den Pilgern zu unterhalten, essen und schlafen. Unterwegs gab es immer wieder Zwischenfälle: sei es eine kaputte Fahrradpedale, eine Erkältung der Kinder, Wege direkt an der befahrenen Autostraße. Die Karlsruher erlebten viele hilfsbereite Pilger, die auch mal mit anpackten und den Anhänger bei einem besonders schweren Anstieg mit nach oben schoben.

Die Spanier staunen über die deutsche Pilger-Familie

In Spanien genoss die Familie mit ihrem Kinder-Fahrradanhänger Exotenstatus. Diese Art zu pilgern, überstieg die Vorstellungskraft von vielen Einheimischen. Doch es wurde ihnen viel Gastfreundschaft entgegengebracht, einmal bekamen sie sogar direkt von den örtlichen Polizeibeamten exklusive Tourentipps. Manchmal verhalf ihnen ihr Nachwuchs auch zu besonders schönen Zimmern: Während die Fußpilger im großen Schlafsaal untergebracht waren, durfte Familie Burcza den Luxus eines Familienzimmers, genießen. Allerdings war das die Ausnahme, und wenn sie im großen Schlafsaal nächtigten, ernteten sie am nächsten Morgen oft erleichterte Blicke – denn die Pilger hatten wohl abends beim Anblick der Kinder um ihre wohlverdiente Nachtruhe gebangt. Unnötigerweise, denn »wir und auch die Kinder waren hundemüde, das Schlafen war kein Problem«. Der kleine Natan schlief bei seiner Mutter im Bett, Emilia bei ihrem Vater. Als Boris Burcza in einer Nacht aus dem Etagenbett aufstand, fand er bei seiner Rückkehr Emilia auf den Fahrradtaschen liegend. Sie war aus dem Bett gekullert, trotz Sturz schlummerte sie selig weiter.

Ankunft am Ziel

Die Kinder haben die Reise mit kindlicher Unbeschwertheit genossen, sich der Situation angepasst und den Dingen einfach ihren Lauf gelassen. Diese Art der Gelassenheit spürten auch die Eheleute. Während sie sich zu Beginn noch Sorgen machten, wurden sie mit der Zeit immer ruhiger. »Man gibt Verantwortung ab. In einer Herberge waren die Schlafplätze alle belegt, und man sitzt da und denkt: Das wird sich schon irgendwie regeln. Und so war es dann auch.« Als die Familie Santiago de Compostela erreicht hat, waren sie glücklich und ein wenig wehmütig. »Wir hatten noch fünf Tage Aufenthalt, und plötzlich hatten wir keine Aufgabe mehr. Wir wären alle am liebsten noch weitergefahren.« Ihre Erfahrungen auf dem Jakobsweg möchte die Familie nicht missen, auch wenn der Weg Kraft gekostet hat. »Er verlangt einem viel ab. Ich wollte gedanklich frei sein, nicht an den Alltag, an die Arbeit oder zu Hause denken. Das ist gelungen. Wir waren ganz draußen und haben auch von dem Weltgeschehen einfach nichts mehr mitbekommen.«

Zurück im Alltag

Der Alltag ist inzwischen wieder eingekehrt, doch die Erinnerungen an die Reise bleiben: »Wir sind stolz, dass wir das geschafft haben, und ein bisschen von dieser Ruhe und Gelassenheit konnten wir auch in unseren Alltag übernehmen. Als Familie hat uns die Reise ganz eng zusammengeschweißt.«