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Jugendliche entdecken Kūryba, Landwirtschaft und Gott – Wie ein kleines Kloster im litauischen Baltriškės auf Ökologie und Umweltbildung setzt

In einer Ecke werden Kartoffeln geschält, in einer anderen hackt ein junger Mann Gurken, Kräuter und anderes Grünzeug klein. Am großen Küchentisch sitzt ein Ordensmann und reibt mit beinah theatralischen Handbewegungen einen Kohl klein.

Dieses Schneide- und Zerkleinerungs-Orchester wird von Sigita Jurkutė dirigiert. Die 25-Jährige rührt in einem riesigen Topf, aus dem es mächtig dampft, gibt immer wieder Zutaten hinein oder schmeckt ab. »Ich habe etwas Sorge, ob es den anderen schmeckt. Nicht, dass es zu salzig ist oder sowas«, sagt die junge Köchin. Denn sie kocht gleich für 50 Mägen. »Aber alle sind immer so hungrig; da schmeckt alles.« Aufgetischt wird ohnehin nur das Gemüse, das nebenan auf dem Feld angebaut wird, meist biologisch.

Wir sind beim »Wochenende des Heiligen Franziskus«, auf Litauisch »Šv. Pranciškaus savaitgalis«: Rund zwei Dutzend junge Menschen aus ganz Litauen kommen zusammen, um fernab von städtischem Trubel nahe der litauisch-lettischen Grenze im Einklang mit der Natur Zeit miteinander zu verbringen: eben wie der Heilige Franziskus. »Es ist wichtig für die jungen Menschen, zurück zur Natur zu gehen und hier Gott zu treffen«, sagt Bruder Egidijus. Noch vor dem Essen war er mit ein paar Jugendlichen bei den Eseln. Er hat die Grautiere gefüttert, aber auch mit ihnen rumgealbert. »Guckt euch den an, der Esel lacht«, dabei zog er mit beiden Händen die Lippen des Esels auseinander, so dass der seine Zähne zeigte. Beide, Esel und Mönch, sehen dabei aus, als würden sie lachen.

Jetzt wird der 43-jährige Ordensmann mit blauer Kutte aber wieder ernst. Wenn junge Menschen hierher kommen, seien sie auf der Suche nach Gott, sagt er. »Hier in der Natur ist es einfacher, Gott zu entdecken«, ist sich der Pater sicher. »… in der Schönheit der Wälder oder zwischen den Tieren noch eher als zwischen Hochhäusern und Asphalt.« Hier, das bedeutet in der Einöde Baltriškės. Ein paar Gehöfte, eine alte  Kirche, alles aus Holz, dem im Baltikum »typischen« Baumaterial. Anfang der 2000er Jahre ließ  sich hier die belgische »Bruderschaft vom See Tiberias« nieder, die Tibériade-Gemeinschaft. Besinnungswochenenden, religiöse Ferienlager für Gruppen oder Einkehrtage mitten im Jahr – spätestens beim Gebet und Gesang auf dem Teppich sitzend in der alten Dorfkirche gleicht die Atmosphäre der in Taizé.

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Bruder Egidijus

Leben wie einst der »Öko-Heilige« Franziskus
Wobei an Taizé erinnernde Gesänge und die damit einhergehende Glaubensunterweisung nur ein Aspekt der Tibériade-Programme seien, sagt Bruder Egidius, der aus Belgien stammt. »Wir leben eng mit der Natur, arbeiten mit den Händen und haben hier diesen Hof mit Tieren und eigenem Gemüse«, beschreibt Bruder Egidijus die Lebensweise der sieben Ordensleute. Dieses einfache Leben könne den jungen Menschen ein Beispiel sein. Und weil Franziskus als »Öko-Heiliger« eben auch jenes Leben verkörpere, gebe es bei der »Pranciškaus savaitgalis« Katechese zum Thema Natur, Ökologie und Umweltbewusstsein.

Das Bewusstsein für die Schöpfung Gottes wird auch geweckt, indem die Teilnehmenden bei der Gartenarbeit mit anpacken. Im Frühjahr wird gemeinsam ausgesät, im Herbst zusammen die Ernte eingeholt. »Wir können hier von den Brüdern viel lernen«, sagt Marek. Der 17-Jährige stammt aus der Hauptstadt Vilnius und gehört zur Generation der Fridays-for-future-Bewegung; letztere ist in Litauen allerdings eher klein und leise. Die Menschen betrachten sich ganz selbstverständlich als naturverbunden. Das Land mit weniger als drei Millionen Einwohnern ist dünn besiedelt und hat viel unberührte Natur mit dichten Wäldern und Tausenden von Seen.

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Im Herbst packen die jungen Gäste des Klosters tatkräftig bei der Ernte mit an.

Ökologische Narben der Vergangenheit
Doch die Sowjetzeit von 1944 bis 1990 hat tiefe Wunden in der Natur und dem ökologischen Verhalten hinterlassen: Der Müll wird auf dem Land oft zum Heizen der Häuser genutzt, in den Städten dominieren dagegen alte Plattenbauten, die über Fernwärme versorgt werden – aber zum Regulieren der Zimmertemperatur müssen die Fenster geöffnet werden. Und das Auto ist Transportmittel Nummer eins, während der öffentliche Personennahverkehr und das Fahrrad nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Der Umweltschutz wurde in der Sowjetzeit auf vielfältige Weise missachtet. So kam es etwa dazu, dass die Landwirte von Moskau zugeteilten Diesel in die Seen kippten, wenn sie ihn mal nicht verbraucht hatten. Umweltfrevel, damit die zentral geregelte Kraftstoff-Zuteilung beim nächsten Mal nicht geringer ausfiel. Dass die Sowjetregierung mit ihrer kommunistischen Ideologie von der Bewahrung der Schöpfung, Ökologie und Nachhaltigkeit nichts hielt, haben die baltischen Staaten »am eigenen Leibe« miterlebt. In Estland wurde im großen Stil das klimafeindliche Schiefergas abgebaut, in Lettlands Metropole Riga viel Schwerindustrie angesiedelt und in Litauen das Atomkraftwerk Ignalina errichtet. 2009, fünf Jahre nach dem Beitritt Litauens zur EU, wurde der Reaktor abgeschaltet, weil er der gleiche Typ war wie der Unglücksreaktor von Tschernobyl.

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Sigita Jurkutė

Welche negativen Einflüsse die Sowjetzeit auf die Ökologie hatte, weiß Sigita Jurkutė nur aus Erzählungen ihrer Eltern. »Damals wurden die kleinen Dörfer zerstört damit die Städte wuchsen«, sagt die 25-Jährige. Sie stammt zwar selbst aus einem Dorf in der Nähe von Baltriškės, lebt aber mittlerweile in Kaunas, Litauens zweitgrößter Stadt. »Gott hat uns nun mal den freien Willen gegeben«, sagt die junge Litauerin. »Aber wenn wir das, was er uns gegeben hat, auch wirklich lieben, sollten wir es nicht zerstören.« Sie meint die Natur und die Umwelt, also Gottes Schöpfung – »Kūryba« auf Litauisch.

»Kūryba« wird Pater Egidijus an diesem Wochenende noch oft vor den Jugendlichen in den Mund nehmen. Es gehe ihm darum, wie die Schöpfung bewahrt werden kann, sagt der Geistliche: Er wolle ein Beispiel für die Jugend sein, etwa was seinen geringen Wasserverbrauch oder auch seinen Verzicht auf Fleischkonsum angeht. »Ich will niemanden zwingen, Vegetarier zu werden, nur weil ich selbst kein Fleisch esse«, sagt der 43-Jährige. »Aber jeder kann zumindest einen kleinen Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung leisten.« Die Natur ist Gottes Schöpfung, glaubt der Ordensmann, und der Mensch ist darin der Gärtner: »Ein guter Gärtner wird nicht nur alles abernten, sondern sich auch um den Garten kümmern.«